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ISG beim Pferd: Klein aber oho! Iliosakralgelenk behandeln
- Miriam Leinweber
- 23. März 2024
- 19:22
Das Iliosacralgelenk (ISG) ist ein faszinierendes anatomisches Element, das vielen Pferden früher oder später einmal Probleme macht. Wo genau es sich befindet, welche Funktion es erfüllt und warum es eine biomechanische Schlüsselstelle im Pferdekörper darstellt, erkläre ich euch im folgenden Blogbeitrag. Die Abkürzung ISG steht für Iliosacralgelenk. Es befindet sich zwischen dem Darmbein, lateinisch „Os Ilium“ und dem Kreuzbein, lateinisch „Os Sacrum“. Diese lateinischen Begriffe enthalten wichtige Hinweise auf die genaue Lage des Gelenks: Das Darmbein, das sich seitlich der Wirbelsäule ungefähr auf der Höhe des höchsten Punkts der Kruppe befindet, ist vielleicht weniger bekannt, während das Kreuzbein vielen von euch am eigenen Körper als ein Schmerzpunkt vertraut ist, wenn man darauf gefallen ist. Das Darmbein stellt einen Teil des Beckens dar und bildet die beiden großen Darmbeinschaufeln, die beim Pferd den höchsten Punkt der Kruppe markieren. Das Kreuzbein ist Teil der Wirbelsäule und besteht aus 5 Wirbeln, welche beim Pferd zwischen dem 4. Und 5. Lebensjahr vollständig miteinander verwachsen sind. Cranial, d.h. in Richtung Pferdekopf setzt das Lumbosakralgelenk als Verbindungsstück zur Lendenwirbelsäule an. Caudal, d.h. in Richtung Schweif, setzt das Kreuzbein an den 15-21 Schweifwirbeln an. Rechts und links besitzt das Kreuzbein die beiden sogenannten Kreuzbeinflügel. Die Darmbeinschaufeln des Pferdes liegen wie ein Dach über dem Kreuzbein. Exakt die Stelle, an der Darmbeinschaufeln und Kreuzbeinschaufeln mit ihren flachen Gelenkflächen aneinanderstoßen, ist das Iliosakralgelenk.
Das ISG: Biomechanik und Funktion
Wir erinnern uns: Die Darmbeinschaufeln sind Teil des Beckens, das Kreuzbein Teil der Wirbelsäule. Biomechanisch heißt dies also, dass das ISG die zentrale Schaltstelle ist, an der die Kraft der Hintergliedmaßen über das Becken auf die Wirbelsäule und den Rumpf übertragen wird! Es bedeutet auch, dass dieses kleine Gelenk einer enormen Druckbelastung ausgesetzt ist. Diese Druckbelastung äußert sich anatomisch darin, dass das ISG über eine nur sehr minimale Beweglichkeit verfügen darf (wir reden hier von weniger als einem Milimeter!), da jede zu große Beweglichkeit Instabilität bedeuten würde. Die flachen Gelenkflächen sowie sehr straffe Bänder wie z.B. das breite Beckenband (Ligamentum Sacrotuberale latum) sorgen dafür, dass das ISG stabil bleibt.
Das ISG hat also die entscheidende Funktion, die Kraft, die in der Hinterhand erzeugt wird, über die Wirbelsäule in den restlichen Körper zu übertragen. Gleichzeitig muss es die Bewegungen des Beckens unterstützen, die durch das abwechselnde Auftreten der Hinterbeine entstehen. Das ISG muss somit ein Gleichgewicht zwischen Stabilität und Flexibilität finden, um die reibungslose Funktion des Pferdekörpers zu gewährleisten. Die Herausforderung liegt in den widersprüchlichen Anforderungen an das Gelenk. Hätte das ISG nur die Aufgabe, Bewegungen zu übertragen, wären seine Bänder weich und nachgiebig, um fehlerhafte Bewegungen zu tolerieren. Andererseits müsste das ISG, wenn es ausschließlich für die Kraftübertragung verantwortlich wäre, komplett verknöchert sein und jede falsche Bewegung blockieren. Das Iliosakralgelenk wird von den oben bereits erwähnten straffen Bändern, sowie auch kräftigen Muskeln unterstützt, die das Gelenk stabilisieren und vor ungünstigen Bewegungen schützen.
Blockaden bei deinem Pferd
Doch selbst gut trainierte Muskeln können durch unglückliche Vorfälle wie Stürze oder falsche Tritte, den Stoß und die damit einhergehende ungewohnte Druckspitze auf Kreuzbein oder Darmbein manchmal nicht abfangen. Das ISG blockiert in diesen Fällen, da entweder das Darmbein nach vorne oder hinten oder das Kreuzbein nach oben oder nach unten verschoben wird und damit auch die beiden Gelenkflächen des ISG betroffen sind. Eine ISG Blockade geht also fast immer mit einem, wenn auch manchmal nur minimalen, Beckenschiefstand und/oder Verkippung des Kreuzbeines einher. Leider werden Kreuzbein oder Darmbein oft in der verschobenen Stellung fixiert, da die umliegenden Muskeln reflexartig reagieren um Gelenke und Knochen zu schützen. Diese Reaktion mag zwar im Moment des Ereignisses gut sein, kann aber sofern die Blockade nicht wieder gelöst wird, zu anhaltenden Problemen führen: Das Gewebe passt sich den neuen Bedingungen an, die Bänder werden gedehnt und verlieren an Festigkeit, während Muskeln sich verkrampfen und verkürzen. Das ISG ist daher anfällig für langfristige Probleme.
Die gedehnten Bänder können das Gelenk nicht mehr ausreichend stabilisieren, wodurch Kreuzbein und Darmbein immer wieder in die falsche Position geraten und Schmerzen sowie Entzündungen im oder um das Gelenk auslösen. Durch Fehlbelastung, Läsionen und Entzündungen in den unteren Extremitäten entstehen Schmerzen. Ein dauerhafter irreparabler Beckenschiefstand ist ebenfalls möglich. Durch Beteiligung der oben erwähnten großen und starken Muskelgruppen kommt es auch häufig – insbesondere, wenn die Blockade schon länger besteht – zu Rückfällen, da die Muskulatur bei bestimmten Bewegungen schnell wieder dicht macht. Die betroffenen Strukturen geraten wieder in Schräglage. Eine zwei- bis dreimalige Behandlung sollte jedoch Erfolg haben. Ansonsten muss ein anderer Auslöser für die wiederkehrende Blokade gesucht werden. Neben akuten Traumata kann auch eine zu frühe versammelnde Belastung oder kurze, harte Manöver mit jungen oder untrainierten Pferden, deren Muskulatur nicht genug auf die geforderte Belastung vorbereitet wurde, ursächlich für wiederkehrende Blockaden oder Entzündungen des ISG sein. Ein weiteres Augenmerk sollte man bei wiederkehrenden Blockaden auch auf die folgenden Strukturen legen: Die übrigen Gelenke, Sehnen- und Bandstrukturen der Hinterhand oder der diagonalen Vorhand sowie auf das Genick, da hier unerkannte Einschränkungen im Bewegungsapparat, wie Sehnenschäden, Arthrosen usw. das Pferd zu Schonhaltungen und Kompensationsmustern anhalten können. Diese ziehen eine ISG Blockade nach sich.
Leiden erkennen
Da Pferde bekanntermaßen still leiden und aufgrund ihrer Fluchttiergenetik erst einmal alles versuchen werden, um weiterhin zu funktionieren, entwickeln sie diese Kompensationsmuster schnell und effektiv. Weitere mit ISG und Becken korrespondierende Strukturen im Pferdekörper werden überbelastet und im weiteren Verlauf entstehen noch mehr Verspannungen und Blockaden. Eine Blockade des ISG fällt mehr oder wenig deutlich auf und kann sich durch eindeutige Lahmheit, Kürzertreten, ein wiederkehrendes Ausrutschen, Stolpern oder gefühltes „in ein Loch treten“ des Hinterbeines auf der betroffenen Seite äußern. Auch eine plötzliche Unwilligkeit des Pferdes sich zu versammeln oder das Verwerfen im Genick können Hinweise sein.
Vom Reiten bei einer ISG-Blockade ist eher abzuraten, da es zusätzliche Belastungen verursachen und die Schmerzen verstärken kann. Daher ist es wichtig, einen Tierarzt oder Therapeuten zu konsultieren, um den Zustand des Pferdes zu beurteilen. Oft sind schonende Übungen und gezielte Therapie die bessere Wahl, um das Pferd sicher zu mobilisieren und zu stärken.
Als Resümee könnt ihr folgendes mitnehmen: Das ISG stellt eine Schlüsselstelle für den Bewegungsapparat und die Biomechanik unserer Pferde dar und ist aufgrund seiner wichtigen Rolle als Kraftübertrager essentiell für einen reibungslos funktionierenden Pferdekörper, egal ob Reitpferd oder Beisteller. Aus diesem Grund ist die Behandlung und Lösung einer Blockade, sei es durch Osteopathie, Chiropraktik oder auch Akupunktur, besser früher als später angezeigt und erleichtert dem Pferd in erhöhtem Maße das zu leisten, was wir von ihm verlangen. In diesem Sinne: schaut genau hin, fühlt genau hin und gönnt eurem vierbeinigen Partner lieber früher als später eine sachkundige Behandlung durch einen Therapeuten, bevor der Pferdekörper in seine Kompensationsspirale gerät.