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Der Pferderücken: Ausbildung und Osteopathie
- Miriam Leinweber
- 02. Juli 2024
- 07:40 Uhr
Nicht nur in der Praxis als Therapeuthin begegne ich vielen sehr unterschiedlichen Problemen, mit denen sich Pferde und Besitzer auseinandersetzen müssen. Aber auch außerhalb der Profession bekomme ich als Reiterin und Pferdemensch natürlich einiges in der Pferdewelt mit. Und zu guter Letzt bin ich aufgrund eigener Fehler und Sackgassen, die mir meine eigenen Pferde (im nachhinein betrachtet immer) deutlich gezeigt haben, sensibilisiert auf bestimmte, die Gesundheit unserer geliebten Fellnasen betreffende Themen. Viele dieser Probleme oder Fehler geschehen nicht aus mutwilligkeit sondern schier aus Unwissenheit.
Im Folgenden habe ich mir drei sehr häufige Probleme herausgepickt, die einem landauf landab immer wieder begegnen:
Dies sind ein schlecht bemuskelter, nicht tragfähiger Rücken, ein schlecht bzw. falsch bemuskelter Hals und unphysiologische Bewegungsabläufe. Alle diese drei Probleme hängen unabdingbar miteinander zusammen.
Unter unphysiologischen Bewegungsabläufen versteht man Auffälligkeiten in der Bewegung des Pferdes, wie das Kürzertreten mit einem Bein oder Ausweichbewegungen jeglicher Art. Außerdem Anlehnungsprobleme, die Tendenz sowohl an der Longe als auch unter dem Reiter über Tempo zu gehen oder zu klemmen/triebig zu sein. Handelt es sich bei den Pferden, welche ein solches Verhalten zeigen, nicht um junge Remonten, denen noch die natürliche Schiefe, fehlende Kraft und das Ausbalancieren des Reitergewichtes Probleme bereiten, liegen all die soeben genannten Probleme entweder an körperlichen Gebrechen wie Blockaden, Gelenkerkrankungen o.ä., aber nicht selten auch an einer unzureichenden Grundausbildung des Pferdes.
Viele Reiter bemerken nicht, dass ihr Pferd eigentlich ein Korrekturpferd ist, das im Grunde nie eine solide Basis erhalten hat. Solche Pferde zeigen dann die oben beschriebenen Auffälligkeiten wie Verspannungen bestimmter Muskelpartien oder unnatürliche Bewegungsabläufe, weil sie nie richtig lernen durften sich frei und ohne Einwirkung auf Kopf und Hals unter einem Reiter auszubalancieren, sich frei vorwärts zu bewegen, den Rücken loszulassen und frei mit der Nase vor der Senkrechten von hinten nach vorne durchzuschwingen. Kommen hierzu noch ein schlecht sitzender Sattel und/oder Reiter (ab einem gewissen Niveau finden Sitzkorrekturen bedauerlicher Weise meistens nur noch sehr marginal im Unterricht statt und es wird überwiegend nur noch am Pferd gearbeitet) sowie eine unpassende Hufbearbeitung hinzu, dekompensiert das ganze System Pferd mit der Zeit.
Ein extrem häufiges Problem in der Pferdeausbildung ist die voreilige Manipulation der Kopf-Hals-Haltung, bevor das Pferd Takt und Losgelassenheit entwickelt hat. Diese durch die Reiterhand herbeigeführte nach rückwärts und unten wirkende Manipulation führt zu Fehlerhaften Muskelanspannungen im ganzen Körper, psychischem Stress durch Balance- und Sichtverlust sowie unphysiologischem Bewegungsabläufen. Oft werden zusätzlich zur zu frühen Beizäumung des Pferdekopfes falsche Abkürzungen im Training genommen, wie der Einsatz von Ausbindern und Hilfszügeln (oft bereits beim Anlongieren und Einreiten an der Longe auf enger Kreislinie), die das junge und sowieso noch unausbalancierte Pferd in unnatürliche Positionen zwingen und seine Bewegungsfreiheit einschränken, indem ihm die wichtigste Balancierstange, der Hals, genommen wird. Werden Hals und Kopf in eine willkürliche Position gezwungen, verspannen Oberlinienmuskulatur sowie die als Antagonist arbeitende ventrale also bauchseitige Muskulatur, da das Fluchttier Pferd, welches auf einen funktionierenden Körper angewiesen ist, versucht, sich zu stabilisieren um irgendwie die Balance zu halten und nicht umzufallen. Auf Dauer verkürzt und atrophiert so u. a. Muskulatur an Rücken, Hals und Kruppe. Auf der anderen Seite entsteht verspannte, Kompensationsmuskulatur mit einem enorm hohen Muskeltonus. Beides schmerzt das Pferd und führt unausweichlich in eine Trageerschöpfung und/oder zu Überbelastungen diverser Band- und Sehnenstrukturen, wie Fesselträger, Kniebänder usw.
Statt eine frühe Beizäumung zu erzwingen, sollte das junge oder noch unausgebildete Pferd zunächst völlig zwanglos lernen sich unter einem Reiter vorwärts zu bewegen und ohne Manipulation am Zügel ausprobieren dürfen, in welcher Kopf-Hals-Position es den Reiter am besten tragen kann. Ist diese Position gefunden kann der Reiter mit feiner Hand eine minimale Verbindung zum Pferdemaul herstellen, die ein Angebot an das Pferd darstellt sich vertrauensvoll an diese Hand zu dehnen und Anlehnung zu suchen, wenn es soweit ist.
Ein zweites in hohem Maße versäumtes Element in der Pferdeausbildung ist die Arbeit in Dehnungshaltung. Sie wird allzu oft beim jungen Pferd als elementarer Grundbaustein, aber auch bei vielen älteren Pferden als essentieller Bestandteil einer Reiteinheit vernachlässigt oder falsch angegangen. Eine reelle Dehnungsfähigkeit ist jedoch essentiell, damit das Pferd sich über die Bauch- und Rückenmuskulatur stabilisieren lernt und den Reiter ohne Verschleiß tragen kann. Eine gute Grundausbildung nutzt die Dehnung, um die notwendige Muskulatur aufzubauen, die Oberliene zu strecken und das Pferd darauf vorzubereiten, später in Aufrichtung und Arbeitshaltung geritten zu werden. Auch bei dem weiter ausgebildeten Pferd darf nicht versäumt werden das Pferd nach kurzen versammelnden Reprisen und Lektionen immer wieder in die Dehnungshaltung zu entlassen um die Muskulatur zu entspannen, denn nur eine entspannte Muskulatur ist maximal durchblutet und mit Sauerstoff versorgt. Ergo: Nicht in Anspannungsphasen, sondern in den auf die Anspannung folgenden Entspannungs-/Dehnungsphasen fördern wir einen gesunden Muskelaufbau. Fehlen diese Phasen, ermüdet die Muskulatur, sie schmerzt und kann Bänder und Sehnen nicht mehr schützen. Schädigungen der betreffenden Strukturen (Sehnen, Bänder, Fesselträger) Kompensationshaltungen und damit unphysiologische Bewegungsabläufe sowie verspannte Muskeln und Faszien und ein schmerzgeplagtes Pferd sind die Folgen. Wie bei allem anderen rund um die Pferdeausbildung, ist auch bei dem Thema Dehnungshaltung unbedingt auf die korrekte Ausführung zu achten. eine korrekte Dehnungshaltung zeichnet sich durch ein Tragen der Nase vor der Senkrechten sowie in den meisten Fällen nicht tiefer als auf Höhe des Buggelenks aus. Ein Impuls der Bewegung nach vorne und ein aktives Treten der Hinterbeine sollte stets erhalten bleiben, da nur so die den Spannungsbogen der Oberlinienmuskulatur ermöglichende Bauchmuskulatur aktiviert wird.
Ein weiterer Grund für körperliche Probleme beim Reitpferd ist das Fehlen eines strukturierten Ausbildungsplans. Viele Reiter wissen nicht, welcher Schritt auf den anderen folgt. Ein systematisches Vorgehen und Grundwissen über die Anatomie und biomechanischen Grundsätze des Pferdekörpers sind jedoch entscheidend, um ein gesundes, tragfähiges Reitpferd zu entwickeln. Das Reiten und Erarbeiten von Lektionen muss wohlüberlegt und dosiert geschehen. Werden wichtige gymnastizierende Elemente wie z. B. korrekte Seitengänge für die Mobilisierung des Pferdes sowie diagonale und laterale Dehnung und Schulung von Hankenbeugung und Tragkraft zu schnell oder fehlerhaft erarbeitet, fehlen wichtige Bausteine für die Geraderichtung des Pferdes sowie einen mobilen, geschmeidigen und tragfähigen Rücken.
Viele Pferde, die als angeritten verkauft werden, sind reell lediglich ans Reitergewicht gewöhnt, haben aber noch nicht die notwendige Muskulatur und Ausbildung, um korrekt geritten zu werden. Eine geduldige und systematische Grundausbildung ist hier unerlässlich, um aus ihnen langfristig ein gesundes, motiviertes und leistungsfähiges Reitpferd zu entwickeln. Ein strukturierter Ausbildungsplan, der auf bewährten klassischen Prinzipien, Feingefühl, Geduld und professioneller Begleitung durch
Trainer mit fundierter Jungpferde-Expertise basiert, ist entscheidend,
um langfristig ein rittiges und leistungsfähiges Pferd zu entwickeln.
Eine solide Basis kann bereits am Boden mit dem jungen Pferde erarbeitet werden und auch beim älteren Pferd und Korrekturpferd immer wieder sinnvoll sein. So können dem Pferd z.B. bereits am Boden im Schritt gesunde Bewegungsmuster nahegebracht werden um ein Bewusstsein für seine Hinterbeine zu erlangen und zunächst einmal ohne störendes Reitergewicht ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie sich beispielsweise ein durch einen Seitengang ausgelöstes vermehrtes unter den Schwerpunkttreten und die damit einhergehende laterale Dehnung anfühlen.
Geschieht das Reiten von Lektionen um der Lektionen willen und nicht, weil diese – in der richtigen Reihenfolge erarbeitet – wichtige Puzzlestücke auf dem Weg zu einem gut gymnastizierten und tragkräftigen Pferd sind, ist dies auf kurz oder lang schädlich für den Pferderücken und den gesamten Bewegungsapparat des Pferdes. Welch wichtiges Werkzeug z. B. Seitengänge in der gesamten Ausbildung des Pferdes und bis in das hohe Alter zur Erhaltung der Geschmeidigkeit von Muskeln und Gelenken ist, scheint vielen Reiter(inne)n nicht bewusst zu sein und werden oft nur oder erst trainiert, wenn es die Aufgaben ab einer bestimmten Leistungsklasse im Turniersport fordern.
Die Osteopathie kann wertvolle Unterstützung bieten um Defizite bezüglich der körperlichen Verfassung eines Pferdes aufzudecken und anzugehen, da sich die Osteopathie auf die Wiederherstellung der Beweglichkeit und Funktionalität von Gelenken, Muskeln und Gewebe konzentriert. Ein osteopathischer Check kann helfen, körperliche Blockaden und Verspannungen zu erkennen und zu lösen, die durch falsche Haltung oder mangelnde Ausbildung entstanden sind. Durch diese gezielte Behandlung von Verspannungen und Blockaden kann das Pferd wieder in einen natürlichen und gesunden Bewegungsablauf zurückfinden, dennoch muss das Training im Falle der hier besprochenen muskulären und biomechanischen Defizite zwingend angepasst werden, da sich jegliche Wirkung der unterstützenden Behandlung sonst in kürzester Zeit in Rauch auflöst. Der Weg zurück zu einem gesunden Bewegungsmuster und einem damit einhergehenden Aufbau korrekter und leistungsfähiger Muskulatur ist, wie ich auch aus eigener Erfahrung schreiben kann, mitunter langwierig und erfordert viel Geduld und Durchhaltevermögen vom Pferdebesitzer. Das Schmerzgedächtnis eines Pferdes, aber auch neu oder wieder zu erlernen lang vernachlässigte und quasi „ausgeschaltete“ Muskulatur anzusteuern, dürfen bei einem solchen Prozess nicht unterschätzt werden. Auf diesem Weg kann und sollte die Osteopathie oder andere manuelle Therapien auch weiterhin präventiv eingesetzt werden, um Probleme frühzeitig zu erkennen und den Körper des Pferdes immer wieder aus seinen alten Schonhaltungen und Ausweichbewegungen herauszuholen, bevor sie zu weiteren größeren gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.
Zusammengefasst ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass alle Pferde eine korrekte Grundausbildung benötigen. Falsche Abkürzungen und der Einsatz von Hilfszügeln sind in der Pferdeausbildung zu vermeiden. Stattdessen sollte auf eine systematische und geduldige Ausbildung mit Focus auf Balance sowie dem Wechselspiel von Dehnungshaltung und die Tragkraft fördernden Reprisen geachtet werden, um langfristig ein körperlich und mental gesundes und leistungsfähiges Reitpferd zu entwickeln.
Die Osteopathie kann dabei eine wertvolle Unterstützung bieten, indem sie hilft, körperliche Blockaden und Verspannungen zu erkennen und zu lösen, die durch falsche Haltung oder mangelnde Ausbildung entstanden sind. Auch ein Chek-Up von manuellem Therapeuthen(in) und Zahnarzt/-ärztin bevor das junge Pferd überhaupt mit Sattel, Trense und Reiter konfrontiert wird sind ratsam um etwaige Blockaden und Zahnprobleme im Vorfeld zu lösen und dem Pferd somit von Beginn an schlechte Erfahrungen in dieser so wichtigen und ein Reitpferdeleben prägenden Phase zu ersparen und ihm einen möglichst guten Start zu ermöglichen.